153 Formen des Nichtseins by Roschal Slata
Autor:Roschal, Slata [Roschal, Slata]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Penguin Verlag
veröffentlicht: 2024-01-24T00:00:00+00:00
80.
Als Teenager war es meinem Bruder peinlich, auf der StraÃe neben mir zu gehen oder sich woanders als zu Hause mit mir zu treffen, als ob man mich für seine Freundin halten könnte. Mir was es peinlich, mit ihm auf der StraÃe zu gehen, weil er vor sich hin durch die Brille schaute, mit gebeugtem Rücken, Blickkontakt vermied, weil es ihm immer peinlich war und er mir deswegen peinlich wurde. Dann wurde es ihm peinlich, sich mit mir und Emil auf der StraÃe zu treffen, oder mit Kinderwagen überhaupt, auch mit einem leeren, als ob man ihn für den Vater halten könnte. Emil mochte er nicht, schaute ihn nicht an, sagte, dass er unerzogen sei. So wirklich verstanden habe ich es nicht, warum wir den Kontakt abbrachen, einander zu ignorieren anfingen. Es waren viele Kleinigkeiten, die mich gereizt machten, aggressiv, denn vor den eigenen Verwandten konnte ich mein Kind besser beschützen als vor Fremden, weil ich wusste, wie die Verwandten sind, wenn sie erst Handlungsraum bekommen. Er zog in die gleiche Stadt zum Studium und zunächst sogar ins gleiche Wohnheim, da haben wir miteinander gesprochen und sogar zusammen gegessen, dann zog ich um und er auch, ziemlich gleichzeitig also, aber ich fand, dass er es nicht hätte machen sollen, nicht heiraten, kein Kind bekommen, ich hatte Sorge um das Mädchen und um das Kind, es würde nicht gut enden alles. Mein Bruder inszenierte sich als eine Reinkarnation des GroÃvaters, wiederholte das Unangenehmste an dessen Charakter, kleine Despotismen, närrisches Festhalten an der eigenen, ausschlieÃlichen Meinung, seine Frau fügte sich ihr, vielleicht war es so üblich in China, ich konnte es nicht mit ansehen. Einmal waren sie zu zweit bei uns zu Besuch, Emil lachte ununterbrochen, ein bisschen hysterisch, aus Ãberreiztheit und Schüchternheit paradoxerweise, mein Bruder nahm seine Frau an der Hand und schrieb später eine SMS, Er macht sich lustig über meine Frau, Es war das letzte Mal, dass wir bei euch waren. Ich natürlich überrascht und beschämt und wütend auch, verhielt er sich doch selbst wie ein dreijähriges Kind, ich entschied mich, mein Kind war mir wichtiger als das Kind meiner Mutter. Seltsame Begegnungen waren das, skurrile Gespräche, lange Atemzüge am Telefon, ein Warten, ob er mir antworten würde oder keine Lust darauf hatte. Ich wunderte mich, warum meine Eltern ihn mehr liebten als mich, war ich nicht akkurater, zielstrebiger, hatte ich nicht das zweitbeste Abitur an der Schule gemacht, nie geraucht, getrunken wie er, war ich nicht dabei, jemand zu werden, erste Honorare zu bekommen, hatte ich sie in den letzten Jahren je um Hilfe gebeten oder Geld, hatte ich nicht jedes Mal, wenn wir kamen, Blumen mitgebracht oder anderes, warum waren sie von meinem Kind so enttäuscht wie von mir, während jedes Problem, jede Schwierigkeit, die mein Bruder mit sich brachte, seinen Wert nur steigen lieÃ. Wir ignorierten einander nicht, weil jeder unsere Eltern für sich gewinnen wollte, nur reichte eine gemeinsame Kindheit nicht aus, um das Schweigen am Telefon zu brechen. Sie wollen nächstes Jahr nach Peking
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