10 - Ottokar, das Schlitzohr by Ottokar Domma
Autor:Ottokar Domma
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3-359-00812-X
veröffentlicht: 2011-10-05T04:00:00+00:00
Wie wir eine Fragestunde verpatzten
Unser Deutschlehrer, der Herr Bittergalle, strengt sich mächtig an, uns zu gefallen. »Was haltet ihr davon, Kinder, wenn wir einmal in der Woche eine Fragestunde einführen? Dabei lernen wir uns noch besser kennen und verstehen.«
»Zusätzlich zum Stundenplan oder während des Unterrichts?« wollte Harald wissen.
Auf diese erste Frage war der Herr Bittergalle schon nicht gefaßt. Er machte seine Augendeckel zu und stützte sich auf sein kantiges Kinn. So könnte ein Nachdenkerdenkmal aussehen.
»Es ist nur wegen der Lehrergewerkschaft«, erklärte ich. »Wir können nicht zulassen, daß die armen Lehrer noch mehr Stunden aufgebrummt kriegen.«
Der Herr Bittergalle schielte mich gleich an. Vielleicht dachte er, ich will ihm eine Falle stellen. Aber er konnte jetzt nicht mehr kneifen, deshalb sprach er ruhig: »Ich werde dafür eine Stunde im Deutschunterricht opfern.« Das mußte ich anerkennen. Wer ein Opfer bringt, ist ein guter Täter.
Die erste Opferstunde fiel auf den Freitag. Da haben die Lehrer sowieso keine Lust mehr und freuen sich auf ein ruhiges Wochenende. Der lange Schücht stellte als erster eine ganz wichtige Frage:
»Herr Bittergalle, warum bestellen die Altbundis im Gasthaus eigentlich immer ein Wasser und die Ostbundis eine Selters? Vielleicht, weil sie sparen müssen und denken, Wasser ist billiger?«
Auf so eine einfache Frage war der Herr Bittergalle auch nicht gefaßt. Aber er gab sich die Mühe, trotzdem ruhig zu antworten: »Wasser ist Wasser, hierzulande pflegt man Selters zu sagen.«
»Wasser ist nicht Wasser«, bestritt der Schücht. »Wenn der Gast wirklich nur Wasser bekäme, würde er beim ersten Schluck sich wundern und denken, die Ossis sind doof, verstehen nicht richtig Deutsch.«
»Im Gastgewerbe versteht jeder, daß Mineralwasser gemeint ist«, antwortete noch ruhig der Herr Bittergalle.
»Trotzdem ist Wasser nicht gleich Selters«, behauptete stur der Schweine-Sigi. »Ich hab mal in einem Buch gelesen, worin geschrieben stand: Die Männer ließen am Zaun ihr Wasser ab. Wenn also der Kellner dem Gast abgelassenes Wasser… na, ich weiß nicht.«
Die gute Bärbel wußte es. Sie verzog eklig ihr Gesicht, aber der Harald tröstete sie: »Davon würdest du nicht sterben. Im Fernsehen haben mal Kranke behauptet, sie trinken jeden Tag von ihrem Wasser, das würde sie gesund halten.«
Ein Glück, daß Bärbel auch eine Frage einfiel: »Herr Bittergalle, warum sagen viele jetzt Flieger und nicht Flugzeug. Ist Flugzeug falsch?«
Bevor der Lehrer antworten konnte, erklärte ich ihr den Unterschied: »Weißt du, Bärbelchen, das ist so: Nicht wir sagen Flieger, sondern nur die Westbundesdeutschen. Du mußt dir das so vorstellen. Wenn du zu einem Baby sagst, guck mal, da kommt ein Flugzeug, dann kann es sich das Wort nicht merken, schon wegen der hintereinanderstehenden Konsonanten g und z. Und unter Zeug kann es sich sowieso nichts vorstellen. Wenn du aber sagst Flieger, dann weiß das kleine Menschlein bald, alles was fliegt, ist ein Flieger. Du kennst vielleicht auch das Spiel, alles was fliegt, fliegt hoch. Flieger, Vögel, Eimer…«
»Eimer doch nicht, du Blödmann!«
»Doch, auch Eimer. Ich schmeiß mal so einen alten Eimer über euren Zaun. Er fliegt, und wenn er dir nicht gefällt, fliegt er wieder zurück.«
Der Herr Bittergalle schaute schon auf seine Uhr.
»Bloß noch ein Schlußsatz«, beruhigte ich ihn.
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