092 by Schreie aus dem Sarg

092 by Schreie aus dem Sarg

Autor:Schreie aus dem Sarg [Sarg, Schreie aus dem]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-01-05T15:15:42+00:00


Immer wieder schaute ich zu dem kleinen vergitterten Fenster hoch.

Vielleicht kam ich dort hinaus.

Ich streckte mich, erreichte das Gitter aber nicht. Ich mußte springen, und als sich meine Finger um das Metall schlossen, erkannte ich, daß ich diese Hoffnung begraben konnte.

Das Gitter war nicht nur äußerst massiv, es war zudem auch sehr solide im Mauerwerk verankert.

Seufzend ließ ich los. War das alles, was ich tun konnte? Resignieren?

*

Ein schwarzer Schleier hing vor Mildred Quinns hübschem Gesicht.

Die Frau trug Trauer, denn sie hatte ihren Mann verloren. Sie war frühmorgens aufgewacht, und George hatte still und reglos neben ihr gelegen.

Er liegt da wie tot, hatte sie noch gedacht, aber dann war Panik in ihr hochgestiegen, als sie die Wahrheit erkannte. Schreiend war Mildred aus dem Bett gesprungen und aus dem Schlafzimmer gestürmt. Sie wollte nur weg von dem Toten, denn vor Leichen hatte sie einen ganz entsetzlichen Horror.

Das Grauen hatte sie so sehr geschüttelt, daß sie nicht wußte, was sie tun sollte. Sie hatte vier Whiskys getrunken und schließlich mit vibrierender Stimme den Hausarzt gerufen, und dieser hatte wenig später bedauernd den Kopf geschüttelt.

»Tut mir leid, Mrs. Quinn. Da ist nichts mehr zu machen. Ihr Mann ist tot.«

Und nun war die Beerdigung.

Viele Trauergäste gab es nicht, denn George Quinn hatte kaum Freunde gehabt. Er war ein unleidlicher Egozentriker gewesen, und in seinem Haus hatte stets nur eine Meinung Gültigkeit gehabt: die seine.

Er hatte Mildred nie gut behandelt, deshalb waren es auch Krokodilstränen, die sie heute um ihn weinte. Ehrliche Trauer empfand Mildred nicht.

Eher Erleichterung. Nach dem ersten Schock kam das große Aufatmen. Ein starker Druck wich von Mildred. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben. George konnte ihr nichts mehr tun. Er hätte sie umgebracht, wenn er draufgekommen wäre, daß sie einen Freund hatte. Nun brauchte sie nicht mehr zu befürchten, daß das Verhältnis aufflog.

Vielleicht war es geschmacklos, daß Barry McQuaide, der Mann, mit dem sie George so fleißig betrogen hatte, jetzt neben ihr ging, aber sie brauchte jemanden, der sie stützte.

Sie wollte das hier nicht allein durchstehen. Sollten die Leute reden, was sie wollten, das interessierte sie nicht. Sie hatte sich noch nie um andere Leute gekümmert, und sie wäre ihnen dankbar gewesen, wenn sie’s genauso gehalten hätten.

Mildred schluckte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie diesen Sarg nicht ausgesucht, aber es gab so etwas wie einen Letzten Willen von George.

Er war erst fünfzig gewesen, hatte aber schon an den Tod gedacht.

Als hätte er geahnt, daß er nicht alt werden würde.

In seinem Letzten Willen hatte er den Sarg beschrieben, in dem er dereinst beerdigt werden wollte. Es sollte ein Sarg mit einem Fenster sein, damit alle, die ihn auf seinem letzten Weg begleiteten, ihn noch einmal ansehen konnten.

Und über dem Fenster sollten die Buchstaben R.I.P. stehen.

Rest In Peace – Ruhe in Frieden.

Es gab keinen Priester, denn George war bekenntnislos gewesen, und es gab auch keinen Grabredner. Mildred war der Ansicht gewesen, daß keine Ansprache nötig war.

Der Redner hätte sich schwergetan, Georges Vorzüge herauszustreichen, denn George hatte keine gehabt. Nein, George Quinn sollte ohne großes Aufsehen diese Welt verlassen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.