08 - Im Angesicht des Feindes by Elizabeth George

08 - Im Angesicht des Feindes by Elizabeth George

Autor:Elizabeth George
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-03-18T10:16:43+00:00


18

Als am nächsten Morgen um halb fünf der Wecker läutete, fuhr Barbara Havers so schreckhaft wie jeden Morgen aus dem Schlaf: Mit einem Aufschrei schnellte sie in die Höhe, als wäre die Glasglocke ihrer Träume von einem Hammer statt vom Weckerrasseln zertrümmert worden. Blind tastete sie nach dem Wecker und stellte ihn ab, ehe sie in die Dunkelheit blinzelte. Ein schmaler Streifen trüben Lichts fiel durch eine Ritze zwischen den Vorhängen. Sie starrte ihn stirnrunzelnd an. In ihrem Häuschen in Chalk Farm war sie nicht, das wußte sie, aber wo zum Teufel war sie dann? Sie versuchte, sich zu erinnern. London fiel ihr ein, Hillier, New Scotland Yard, die Fahrt auf dem motorway. Dann sah sie vor sich einen wahren Dschungel von Chintz, Spitzenkissen, schweren Polstermöbeln, mit sinnigen Sprüchen bestickten Deckchen und geblümten Tapeten. Meterweise geblümte Tapeten. Ach was, meilenweise geblümte Tapeten. Lark's Haven. Jetzt wußte sie, wo sie war. In Wiltshire.

Sie schwang die Beine aus dem Bett und blieb auf der Kante sitzen, um zur Nachttischlampe zu greifen. In der plötzlichen Helligkeit kniff sie die Augen zusammen und suchte am Fuß des Bettes nach dem schwarzen Plastikregenmantel, der ihr auf Reisen stets als Morgenrock diente. Sie schlüpfte hinein und tappte durch das Zimmer zum Waschbecken, wo sie das Wasser aufdrehte und, sobald sie den nötigen Mut beisammenhatte, den Kopf zum Spiegel hob.

Sie hätte nicht sagen können, was schlimmer war: der Anblick ihres vom Schlaf verquollenen Gesichts, das auf einer Wange noch den Abdruck der Kissenfalten trug, oder der Blick auf noch mehr Blümchentapete, die sie im Spiegel sehen konnte. In diesem Fall waren es gelbe Chrysanthemen, mauvefarbene Rosen, blaue Bänder und - aller botanischen Vernunft zum Trotz - blaue und grüne Blätter. Dieses hinreißende Design wiederholte sich auf Bettüberwurf und Vorhängen. Barbara konnte förmlich hören, wie all die ausländischen Urlaubsgäste, die so sehr direkten Kontakt mit den Einheimischen wünschten, in Begeisterungsrufe über dieses typisch englische Haus ausbrachen. Ach, Frank, sieh doch, ist es nicht genau so, wie wir uns ein richtiges englisches cottage immer vorgestellt haben? Wie entzückend. Wie süß. Einfach zum Anbeißen.

Einfach zum Kotzen, dachte Barbara. Und außerdem war es überhaupt kein cottage. Es war ein solides Backsteinhaus am Dorfrand an der Landstraße nach Burbage. Aber die Geschmäcker waren eben verschieden, und Robin Paynes Mutter schien sich hier echt wohl zu fühlen.

»Meine Mutter hat letztes Jahr alles selbst renoviert«, hatte Robin ihr auf dem Weg zu ihrem Zimmer erzählt. Ein kleines Keramikschild an der Gott sei Dank nicht tapezierten Tür wies es als »Heimchens Zuflucht« aus. »Natürlich unter Sams liebevoller Führung«, hatte Robin hinzugefügt und dabei die Augen verdreht.

Barbara hatte das glückliche Paar unten in der guten Stube angetroffen: Corrine Payne und ihren »Zukünftigen«, wie sie Sam Corey nannte. Die beiden gurrten und schnäbelten wie zwei Turteltauben ersten Ranges, was irgendwie zur allgemeinen Atmosphäre in diesem Haus paßte. Als Robin Barbara von ihrem Wagen in die Küche und von dort ins Wohnzimmer führte, gaben sie gleich eine Demonstration ihrer Verliebtheit. Corrine war Sams »kleines Äpfelchen«. Sam war Corrines »Bübel«.



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