06 - 16 Uhr 10 ab Paddington by Agatha Christie

06 - 16 Uhr 10 ab Paddington by Agatha Christie

Autor:Agatha Christie [Christie, Agatha]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-04-02T18:38:18+00:00


II

Lucy brachte Miss Marple nach Hause. Als sie auf dem Rückweg gerade in die Lieferantenzufahrt einbiegen wollte, trat eine Gestalt aus der Nacht in den Lichtkegel ihrer Scheinwerfer. Der Mann winkte, und Lucy erkannte Alfred Crackenthorpe.

«Das tut gut», sagte er beim Einsteigen. «Brr, ist das kalt! Ich hatte Lust auf einen Spaziergang an der frischen Luft, aber die Lust ist mir vergangen. Und? Die alte Dame gut nach Hause gebracht?»

«Ja. Es hat ihr großen Spaß gemacht.»

«Das hat man gemerkt. Komisch, dass sich alte Damen noch für die langweiligste Gesellschaft erwärmen können. Und nichts, wirklich gar nichts könnte langweiliger sein als Rutherford Hall. Länger als zwei Tage halte ich es hier nie aus. Wie schaffen Sie das bloß, Lucy? Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie Lucy nenne, oder?»

«Nein, nein. Ich finde es nicht langweilig. Aber ich bin natürlich auch nicht auf Dauer hier.»

«Ich habe Sie beobachtet, Lucy – Sie sind ein kluges Mädchen. Viel zu klug, um Ihre Zeit mit Kochen und Putzen zu vertun.»

«Vielen Dank, aber Kochen und Putzen sind mir lieber als Büroarbeit.»

«Mir auch. Aber es gibt noch andere Dinge im Leben. Sie könnten freiberuflich tätig werden.»

«Das bin ich schon.»

«So meine ich das nicht. Ich finde, Sie sollten Ihr eigener Boss sein. Wetzen Sie Ihren Verstand an –»

«Woran?»

«Denen da oben! All den albernen kleinkarierten Regeln und Vorschriften, die einem heutzutage Steine in den Weg legen. Das Interessante ist doch, dass sich alle Regeln umgehen lassen, wenn man nur schlau genug ist, den richtigen Weg zu finden. Und Sie sind schlau. Kommen Sie, die Idee gefällt Ihnen doch, oder?»

«Möglich.»

Lucy steuerte den Wagen in den Stall.

«Wollen sich nicht festlegen?»

«Ich müsste erst mehr darüber erfahren.»

«Offen gestanden, ich hätte Verwendung für Sie, meine Liebe. Sie haben eine unschätzbare Eigenschaft – Sie treten Vertrauen erweckend auf.»

«Soll ich Ihnen helfen, Goldbarren zu verkaufen?»

«Nicht ganz so riskant. Nur eine kleine Umgehung des Gesetzes – mehr nicht.» Seine Hand schob sich unter ihren Arm. «Sie sind ein verdammt attraktives Mädchen, Lucy. Ich hätte Sie gern als Partnerin.»

«Ich bin geschmeichelt.»

«Das heißt, nichts zu machen? Denken Sie darüber nach. Denken Sie daran, wie viel Spaß es machen würde. Wie viel Spaß es machen würde, all die Trantüten auszutricksen. Das Problem ist bloß, man braucht Startkapital.»

«Ich fürchte, da sind Sie bei mir an der falschen Adresse.»

«Oh, ich wollte nicht schnorren! Ich werde in absehbarer Zeit ein hübsches Sümmchen in die Finger bekommen. Mein verehrter Papa, der schäbige alte Geizhals, kann nicht ewig leben. Wenn er über die Klinge springt, bekomme ich ein Heidengeld. Also wie wäre es, Lucy?»

«Wie lauten die Bedingungen?»

«Heirat, wenn Sie wollen. Das wollen die Frauen doch, auch wenn sie noch so fortschrittlich und finanziell unabhängig tun. Außerdem können Eheleute nicht gezwungen werden, gegeneinander auszusagen.»

«Schon weniger schmeichelhaft!»

«Nicht aufregen, Lucy. Sehen Sie nicht, dass Sie es mir angetan haben?»

Zu ihrer eigenen Überraschung spürte auch Lucy eine eigenartige Faszination. Alfred besaß Charme, auch wenn er auf rein körperlicher Anziehungskraft beruhen mochte. Sie lachte und entzog sich seinem Arm.

«Das ist jetzt kaum die rechte Zeit für Tändeleien. Ich muss mich um das Abendessen kümmern.



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