037 - Klinik der Verlorenen by Jose Michel

037 - Klinik der Verlorenen by Jose Michel

Autor:Jose Michel
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2013-09-07T22:00:00+00:00


Wir hatten die abendlichen Spritzen nicht erhalten, auch keine Schlafmittel. Vielleicht hatte Eric angeordnet, sie in Zukunft zu unterlassen? Für ihn wäre es auch einfach gewesen, Sarlieffs Serum durch ein andres, harmloses, zu ersetzen.

Bis spät in der Nacht sah ich das fahle Licht der Kerze in Elianes Zimmer durch das Milchglasfenster. Plötzlich, es mußte etwa ein Uhr früh sein, hörte ich neben mir ein leises Geräusch.

»Lise …«

Ich fuhr herum.

»Ja?«

Es war Clarice. Also hatte sie es nicht geschafft, die Klinik zu verlassen.

»Ich habe weder Kleidung noch Schuhe«, sagte sie leise. »Wissen Sie, wo man unsere Sachen aufbewahrt?«

»Sie müßten in dem Kasten neben der Eingangstür auf dem Korridor sein«, entgegnete ich. »Aber er ist verschlossen.«

»Fast wäre es mir gelungen, hinauszukommen. Aber obwohl die Hintertür offen war, habe ich nicht gewagt, das Haus zu verlassen. Ich habe mich unter einem Bett in einem leeren Zimmer verborgen, und jetzt habe ich alles durchsucht. Der Alte ist nicht da, Flamants auch nicht. Eliane muß die Schlüssel haben. Wie kommen wir an sie heran?«

»Das ist unmöglich«, meinte ich.

Sie schwieg einen Augenblick lang, dann fragte sie: »Sie haben doch Haarnadeln, oder?«

»Ja …«

»Geben Sie mir einige. Wenn es ein einfaches Schloß ist, dann kann ich es öffnen.«

Lautlos kramte ich in der Lade meines Nachttisches und hielt ihr die Haarnadeln hin. Sie nahm sie, und ich fragte: »Waren Sie auch unten?«

»Ja. Ich habe den Aufzug genommen. Er geht sehr weit hinunter. Die Tür, auf der Laboratorium steht, ist verschlossen, aber die Tür daneben führt vermutlich zu unseren verschwundenen Gefährtinnen. Ich hörte Geräusche dahinter, es klang wie das Schreien von Kindern, von Babys … Ich weiß nicht.«

Eines der schlafenden Mädchen bewegte sich in der Dunkelheit. Wir schwiegen.

»Während die Schwester das Essen holte, konnte ich in ihr Zimmer schleichen«, sagte Clarice. »Dort habe ich den Schalter aus der Wand gerissen. Jetzt ist das ganze Stockwerk ohne Licht, das ist mir lieber. Ich habe ein Kissen aufgeschlitzt und es Eliane entgegen geworfen, um ihr Kommen zu verzögern. Aber jetzt fürchte ich, nicht mehr hinauszukommen.«

Ihre Stimme klang verzweifelt.

»Ich gehe mit Ihnen«, schlug ich vor. »Wir versuchen zuerst Kleidung zu finden, aber dann möchte ich, daß Sie mir zeigen, wo unsere Freundinnen gefangen gehalten werden. Das dauert nur ein paar Minuten. Sind Sie einverstanden?«

»Gut. Ich habe eine Taschenlampe in einem Schreibtisch gefunden. Wir müssen über die Treppe hinuntergehen, es sind zumindest drei Etagen unter der Erde. Ich habe zwar niemanden gesehen, aber man kann nicht wissen … Ich habe jedenfalls keine Lust, hierher zurückzukehren.«

Ich verstand sie nur zu gut.

»Clarice, nehmen Sie im Vorbeigehen Ihren Schlafrock und die Pantoffel mit. Ziehen Sie sie aber nicht an, denn wir sollten auch das geringste Geräusch vermeiden.«

Ich zog geräuschlos meinen Schlafrock an und nahm die Pantoffel in die Hand. Dann nahm ich Clarices Arm.

Wir sahen absolut nichts. Auf Zehenspitzen bewegten wir uns vorwärts und tasteten uns an der Wand entlang. Aber Clarice schien einen sechsten Sinn für die Hindernisse im Dunkel zu haben. Geschickt umging sie den Tisch in der Mitte des Saales und die Betten.

Wir schlichen an Elianes Tür vorbei und zur Eingangstür.



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