01 - Mord im Orientexpress by Agatha Christie
Autor:Agatha Christie [Christie, Agatha]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-04-02T18:00:56+00:00
Zehntes Kapitel
Das Zeugnis des Italieners
Und nun», sagte Poirot mit einem Funkeln im Blick, «werden wir Monsieur Boucs Herz erfreuen und uns den Italiener vornehmen.»
Antonio Foscarelli kam geschmeidig wie eine Katze in den Speisewagen. Er strahlte übers ganze Gesicht. Es war ein typisch italienisches Gesicht: sonnige Miene und dunkler Teint.
Er sprach fließend und fast akzentfrei Französisch.
«Ihr Name ist Antonio Foscarelli?»
«Ja, Monsieur.»
«Sie sind, wie ich sehe, eingebürgerter Amerikaner?»
Der Amerikaner grinste.
«Ja, Monsieur. Das ist besser fürs Geschäft.»
«Sie haben eine Vertretung für Ford-Automobile?»
«Ja, sehen Sie –»
Es folgte eine wortreiche Erklärung, an deren Ende alles, was die drei noch nicht über Foscarellis Geschäftsmethoden, seine Reisen, sein Einkommen und seine Ansichten über die Vereinigten Staaten und die meisten europäischen Länder wussten, als nebensächlich gelten durfte. Er war nicht der Mann, dem man die Informationen aus der Nase ziehen musste. Sie sprudelten nur so aus ihm heraus.
Sein gutmütiges Kindergesicht strahlte vor Zufriedenheit, als er mit einer letzten beredten Geste verstummte und sich mit einem Taschentuch die Stirn abwischte.
«Sie sehen also», sagte er, «ich bin groß im Geschäft. Immer auf der Höhe der Zeit. Vom Verkaufen verstehe ich etwas.»
«Sie sind demnach in den letzten zehn Jahren immer wieder in Amerika gewesen?»
«Ja, Monsieur. Ah, wie gut erinnere ich mich noch an den Tag, als ich zum ersten Mal das Schiff bestieg – nach Amerika, so weit fort! Meine Mutter, meine kleine Schwester –»
Poirot dämmte den Strom der Erinnerungen ein.
«Sind Sie auf Ihren Reisen durch Amerika je dem Verblichenen begegnet?»
«Nie. Aber ich kenne den Typ. O ja.» Er schnippte vielsagend mit den Fingern. «So einer tritt immer sehr seriös auf, makellos gekleidet, aber darunter ist alles falsch. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, er war ein großer Halunke. Ich sage Ihnen meine Meinung freiheraus.»
«Ihre Meinung ist vollkommen richtig», sagte Poirot trocken. «Ratchett war Cassetti, der Kindesentführer.»
«Was habe ich Ihnen gesagt? Ich habe gelernt, die Augen aufzumachen – in den Gesichtern der Leute zu lesen. Das muss man. Nur in Amerika lehren sie einen, wie man verkauft.»
«Erinnern Sie sich an den Fall Armstrong?»
«So richtig erinnere ich mich nicht. An den Namen ja. Da ging es um ein kleines Mädchen, eine bambina, nicht?»
«Ja. Eine überaus tragische Geschichte.»
Der Italiener schien als Erster diese Ansicht in Frage stellen zu wollen.
«Ach, so etwas kommt eben vor», meinte er mit der Abgeklärtheit des Philosophen. «In einer großen Kultur wie Amerika –»
Poirot schnitt ihm das Wort ab.
«Sind Sie jemals einem Angehörigen der Familie Armstrong begegnet?»
«Nein, ich glaube nicht. Schwer zu sagen. Ich will Ihnen mal ein paar Zahlen nennen. Was ich allein im letzten Jahr verkauft –»
«Bleiben Sie bitte bei der Sache, Monsieur.»
Der Italiener schleuderte förmlich die Hände von sich. «Ich bitte tausendmal um Vergebung.»
«Zählen Sie mir bitte, wenn es recht ist, ganz genau auf, was Sie gestern seit dem Abendessen alles getan haben.»
«Mit Vergnügen. Ich bin hier im Speisewagen geblieben, solange es ging. Hier ist es kurzweiliger. Ich unterhalte mich mit dem Amerikaner an meinem Tisch. Er verkauft Farbbänder für Schreibmaschinen. Dann gehe ich in mein Abteil zurück. Es ist leer. Der mickrige Engländer, mit dem ich es teile, ist fort – muss seinen Herrn bedienen.
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