002 - Der Glanz einer neuen Ära by Lisa Graf

002 - Der Glanz einer neuen Ära by Lisa Graf

Autor:Lisa Graf [Graf, Lisa]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: History
Herausgeber: Penguin Verlag
veröffentlicht: 2022-11-22T23:00:00+00:00


1908

Therese glaubte nicht an übersinnliche Erscheinungen. Ob ein Freitag ein 13. oder 14. war, das interessierte sie nicht. Schwarze Katzen, vor denen manche Menschen sich fürchteten, taten ihr dafür herzlich leid. Noch nie hatte Therese beim Ruf eines Kuckucks ihre Geldbörse geschüttelt, und trotzdem war ihr das Geld nie ausgegangen. Glück oder Unglück im Leben hatte ein Mensch zum einen Teil selbst in der Hand, zum anderen Teil seinem Schöpfer zu verdanken. Aber dass sie ein feines und wachsames Gefühl für die Menschen hatte, die sie liebte und die ihr nahestanden, auch wenn sie gerade ganz weit weg waren, daran glaubte sie nicht nur. Sie hatte es oft genug am eigenen Leib erfahren.

An diesem Morgen war sie davon aufgewacht, dass ein kleiner Vogel, ein Spatz vielleicht, eine Meise oder ein Rotkehlchen, gegen ihr Fenster geflogen war. Ein kurzes, dumpfes Pochen ans Fenster, nicht sehr laut, aber doch wahrnehmbar, denn davon war sie wach geworden. Sie musste sich erst orientieren, wo sie war, denn sie hatte von einer fremden Stadt geträumt, in der sie sich nicht ausgekannt und immer mehr verirrt hatte. Sie sah zum Hof hinunter, konnte aber nicht erkennen, ob dort etwas auf dem Boden saß oder lag. Entweder war der Vogel entkommen, oder eine Katze hatte ihn erwischt. Therese wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie plötzlich an ihren Freund von Poschinger denken musste, mit einer spürbaren Dringlichkeit. Ganz so, als riefe er nach ihr. Michael?, flüsterte sie in den noch düsteren, klammen Morgen hinein. Als sei er in der Nähe und warte darauf, dass sie sich endlich anzog. Wollte er ihr etwas sagen oder zeigen? Wie damals, vor Jahren, als er plötzlich im Geschäft stand und sie abholte, um mit ihr durch die Altstadt und über den Viktualienmarkt zu schlendern. Sie führte ihn schließlich auf den Turm der Peterskirche, und dort oben hatten sie wie zwei Verliebte gestanden und auf die Stadt und auf die weiß schimmernden Alpengipfel im Süden geblickt.

»Was ist denn mit dir, Michael?«, flüsterte sie in die Stille hinein, und ihr Herz schlug schneller und machte schmerzhafte Sprünge. Aber nicht um sich machte Therese sich Sorgen, sondern um ihren Freund. Es war kein Freitag und kein 13. Es war Dienstag, der 18. Februar 1908.

Sobald es von der Turmuhr der Frauenkirche acht Uhr schlug, griff Therese zum Hörer. Sie erreichte nur das Hausmädchen. Herr von Poschinger sei diese Nacht gar nicht heimgekommen, meldete sie. Er übernachte jetzt oft draußen in einer seiner Jagdhütten. Ob es ihm auch gut ginge, erkundigte sich Therese. Er beklage sich nicht, sagte das Mädchen. Was das zu bedeuten habe, fragte Therese und erfuhr, dass ihr Freund vor einigen Wochen einen Schlaganfall erlitten hatte. Einen leichten nur, aber seit seiner Genesung verbringe er viel Zeit draußen in der Natur. Wieso man ihr nichts davon gesagt habe, herrschte Therese das Mädchen an, sie hieß Elly oder Emmy oder Evi. Der Herr von Poschinger wollte das nicht, antwortete das Mädchen. Das beunruhigte Therese noch mehr, und sie kündigte ihren Besuch für das kommende Wochenende an.



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