Über das Verbrennen von Büchern by Kästner Erich
Autor:Kästner, Erich [Kästner, Erich]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783037920367
Herausgeber: Atrium-Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2013-02-28T23:00:00+00:00
Briefe in die Röhrchenstraße
5. August 1946
Am 24. Oktober 1933 verschickte der in Witten an der Ruhr, Röhrchenstraße 10, beheimatete Verlagsdirektor Gustav Christian Rassy ein Rundschreiben. Er bat bekannte Schriftsteller um gefällige Rückäußerung zu dem im Ausland kursierenden frechen Gerücht, dass im Neuen Deutschland die Freiheit des Geistes erschlagen worden sei und die Dichter, wenn auch nur bildlich gesprochen, mit einem Maulkorb herumliefen. Eine Woche später lagen die Antworten auf seinem Schreibtisch. Dieser Tage hat mir ein Leser ein halbes Dutzend dieser Antwortbriefe zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um die Originalschreiben mit den authentischen Namenszügen.
»Die Ketten fallen!«, heißt es da zum Beispiel. »Wir dürfen wieder frei reden, der Druck ist von uns genommen, die deutsche Seele ist wieder zur freien Entfaltung gekommen! … Wenn ich in der Großstadt Ahnenkunde vortrug oder meine kleinen lächelnden Geschichten von 1919, so fiel die Linkspresse über mich her, ich war unmöglich geworden. Heute ist meine Familien- und Erbkunde Reichssache geworden. Mit neun Worten: Wir dürfen wieder reden und schreiben, wie es uns ums Herz ist! So ist’s im Dritten Reich! … Können Sie den ›Vogel Rock‹ nicht irgendwo zum Zeitungsabdruck bringen? In Stuttgart hat er als ›neu‹ riesig eingeschlagen, er ist zehn Jahre alt! Mein Verleger unterdrückte ihn. Und mich bis heute. Heil Hitler! Ihr Ludwig Finkh.«
Mit neun Worten: Da dreht sich einem der Magen um. Schriftsteller von Weltruf hatten aus ihrem Vaterland fliehen müssen. Andere saßen im Kerker und wurden totgeschlagen. Andere lebten, von allen Seiten bespitzelt, unterm Schwert oder hielten sich, das Äußerste befürchtend, versteckt. Berge von Büchern waren auf Scheiterhaufen verbrannt worden. Und Herr Doktor Finkh erklärte frohen Mutes, weil seine Bücher nun nicht mehr kritisiert werden durften und vom Verleger, auch wenn keine Nachfrage vorlag, nachgedruckt werden mussten, endlich sei die Freiheit des Geistes in Deutschland ausgebrochen!
Diese Spätbarden hatten Nerven! Und heute, nun sie mit Hilfe ihrer Freiheitslieder die Heimat in Grund und Boden gesungen haben, sitzen die damals Verfolgten beisammen und befragen ihr Gewissen, ob es wohl überhaupt und wie weit es richtig und gerecht sei, immerhin die schlimmsten Bücher der ärgsten jener Seelentrompeter zu verbieten! Man fühlt sich versucht, dem eigenen Gewissen ein paar Maulschellen anzutragen. Jene am leiblichen, am seelischen und am Berufstod so vieler Schriftsteller schuldigen Männer sind es nicht wert, dass man sich ihretwegen den Kopf und das Gewissen zerbricht.
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