»Typisch Mädchen ...«: Prägung in den ersten drei Lebensjahren. Ein Tagebuch by Marianne Grabrucker

»Typisch Mädchen ...«: Prägung in den ersten drei Lebensjahren. Ein Tagebuch by Marianne Grabrucker

Autor:Marianne Grabrucker [Grabrucker, Marianne]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Family & Relationships, Life Stages, Infants & Toddlers, Social Science, Women's Studies
ISBN: 9783105615904
Google: nEa9DQAAQBAJ
Herausgeber: S. Fischer Verlag
veröffentlicht: 2016-12-14T23:00:00+00:00


6. Februar 1984 (2 Jahre, 6 Monate)

Nächster Tag: Wir frühstücken, und Anneli erzählt vom Herumschmieren mit dem Essen auf dem Tisch. Sie betont, daß Felix das mache. Ich erkläre ihr, daß Felix kleiner sei als sie, fast noch wie ein Baby (er ist knapp zwei Monate jünger), und daß er deshalb noch nicht ordentlich essen könne wie sie. Sie sagt daraufhin: »Aber der Felix ist größer als ich und der Schorschi (einen Monat jünger) auch!«

Ich: »Nein, die sind beide kleiner als du.«

Sie: »Nein, das sind Buben, und Buben sind immer größer als ich.«

Ich bin ziemlich schockiert von dieser Feststellung, denn bei Anneli ist Größersein mit »Können« und »Dürfen« verbunden. Ich hake nach und frage, wer das denn gesagt habe. Sie antwortet: »Barbara«, die Mutter von Felix. Ich glaube es nicht bzw. kann es mir nur so vorstellen, daß irgendwann in einem Gespräch »unter Müttern« die Feststellung fiel, daß Buben immer größer – gemeint waren Zentimeter – seien, und Anneli hat es aufgeschnappt und interpretiert es natürlich gleich entsprechend ihrem Lebenshorizont. Wieder eines dieser ominösen »atmosphärischen« Erlebnisse, die den Buben vor den Mädchen einen Vorsprung geben und Mädchen Respekt vor dem Männlichen beibringen, den lebenslang wirkenden, schleichenden Inferioritätskomplex der Frauen bewirken. Auch Anneli hat ihr Teil davon schon abbekommen, wie sich aus ihren Feststellungen ableiten läßt.

Nachmittags sitzt sie auf dem Klo und plappert vor sich hin: »Schorschi ist ein Bua, und ich bin ein Madl.«

Ich frage: »Was ist der Papa?«

Sie: »Ein Bua.«

Ich: »Was ist die Mama?«

Sie: »Ein Bua.« Ich lache.

Als sie ins Wohnzimmer geht, sagt sie: »Alle sind ein Bua, bloß ich bin ein Madl.«

Mir scheint, hier hat sie Hierarchie verinnerlicht, das letzte in der Stufenleiter ist immer das Madl, alle anderen sind Buam.

Der Puppe malt sie nachmittags eigens einen Busen, und Klaus will sie abends auch einen Busen auf die Brust malen. Busen ist wahnsinnig wichtig.

Sie schlägt im Garten mit ihrem Holzhammer Nägel in die Hauswand. Dabei hat sie große Freude und wird von mir kräftig unterstützt. Dann sagt sie ganz befriedigt: »Wie der Papi.«

Ich bin stinksauer, weil ich mir einbilde, im Haus vor ihrer Nase schon genug Nägel eingeschlagen zu haben. Aber offenbar waren es nicht genug – oder es war nicht demonstrativ genug.



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